Da in diesem Bereich und gerne von nicht-ärztlichen „Therapeuten“ viele unpräzise oder schlicht falsche Begriffe verwendet werden hier ein guter Text von dem hierauf spezialisierten Tom Guilliams, PhD – wir verwenden seit je her den Begriff „Störung der HPA-axis / HHN-Achse“:
In den letzten Jahren hat die breitere medizinische Gemeinschaft (vor allem die US-amerikanische „Endocrine Society“) die „Nebennierenmüdigkeit“ (Anm. d.Übers.: üblich ist in D eher „Nebennierenschwäche“) als diagnostischen Mythos ins Visier genommen und die Verbraucher vor Ärzten gewarnt, die diesen Begriff verwenden. Ironischerweise wird der Begriff „Nebennierenmüdigkeit“ außer in Veröffentlichungen, in denen der Begriff kritisiert wird, nur selten in der von Fachleuten überprüften veröffentlichten Literatur verwendet. Dennoch wird der Begriff von vielen Ärzten (und der Öffentlichkeit) als Hauptursache (oder Folge) für stressbedingte, chronische Funktionsstörungen angesehen. Diesem Phänomen liegt die Vorstellung zugrunde, dass chronischer Stress die Fähigkeit der Nebennieren, Cortisol zu produzieren, erschöpfen kann (vergleichbar mit der Erschöpfung der Bauchspeicheldrüse, Insulin bei Typ-2-Diabetes zu produzieren). Der häufige Befund eines niedrigen Cortisolspiegels (meist mittels Speichelcortisoltests) bei Personen, die über chronischen Stress klagen, wird dann oft als Beweis für eine „Nebennierenmüdigkeit“ angeführt.
Es stimmt zwar, dass die gängigsten Labortests zur Bewertung der Funktion der HPA-Achse die von den Nebennieren ausgeschütteten Hormone messen, vor allem Cortisol und DHEA(S), aber die Mechanismen, die den Spiegel dieser Hormone steuern, befinden sich größtenteils außerhalb der Nebenniere. Niedrige Cortisol- und/oder DHEA-Spiegel können in der Tat mit chronischem Stress zusammenhängen, aber die eigentliche Ursache, die zu niedrigeren Spiegeln dieser Hormone führt, hängt mit der Anpassung der HPA-Achse (d. h. der Herunterregulierung) zusammen. Vielleicht ist dies beabsichtigt, um empfindliche Gewebe vor überschüssigem Cortisol zu schützen, und hat nichts mit der intrinsischen Cortisol-produzierenden Kapazität der Nebennieren einer Person zu tun. Während viele Kliniker (und sogar einige Labors) dies als „Nebennierentests“ bezeichnen, ist es viel genauer zu sagen, dass solche Tests den Status der HPA-Achse unter Verwendung von Messungen der Nebennierenhormone als Surrogatmarker bewerten. Dies ist nur dann richtig, wenn die Testproben auf die richtige Weise und zum richtigen Zeitpunkt entnommen werden.
Kliniker sollten ihre Nomenklatur in Bezug auf stressbedingte Phänomene ändern und sich von einer Sprache lösen, die sich auf „Nebennieren“ konzentriert, und sich stattdessen auf Stress oder die Stressreaktion (d. h. die HPA-Achse) konzentrieren. Die Verwendung anschaulicher und präziser Begriffe hilft Klinikern und Patienten, die durch Stress und das Stressreaktionssystem verursachte Pathophysiologie besser zu verstehen. Da die meisten stressbedingten Phänomene mit einem von mehreren wichtigen hypothalamischen Auslösern beginnen, wie z. B. wahrgenommener Stress, glykämische Dysregulation, Entzündungssignale, Störungen des zirkadianen Systems oder Probleme mit der Rückkopplungshemmung (im Hypothalamus und/oder in der Hypophyse), sollten erfolgreiche Behandlungsprotokolle auf diese grundlegenden Probleme abzielen und nicht auf die direkte Unterstützung der Nebenniere. Der Begriff stressinduzierte HPA-Achsen-Dysfunktion (oder HPA-Achsen-Maladaption) ist viel besser geeignet, um die typischen Folgen zu beschreiben, die Stress mit den unzähligen messbaren negativen Folgen der Stressreaktion in Verbindung bringen. Die meisten davon können in irgendeiner Weise mit Prozessen in Verbindung gebracht werden, die von der HPA-Achse gesteuert werden. Alternativ werden sie auch als „Störungen des Stressreaktionssystems“ oder als Folgen von oder Fehlanpassung an Stress bezeichnet. Auch hier werden die meisten dieser Begriffe in unterschiedlicher Weise von Stressforschern in der Fachliteratur verwendet und helfen sowohl dem Arzt als auch dem Patienten, die Rolle der Stressoren und der Stressreaktion als zwei modifizierbare Komponenten der Therapie zu erkennen. Wenn der Kliniker die Verwendung einer allzu vereinfachten (und falschen) Terminologie zur Beschreibung dieser Beziehungen vermeidet und stattdessen angemessenere beschreibende Begriffe wählt, wird er die Glaubwürdigkeit dieser wichtigen Beziehungen erhöhen und besser in der Lage sein, Therapien einzubauen, die die Komplexität des gesamten Stress-Reaktions-Systems berücksichtigen.